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Elisa liegt noch am Boden und langsam nimmt sie wahr, dass sie sich im Labor befindet. Sie denkt über ihre Erlebnisse nach. Sie ist noch von ihren Erlebnissen überwältigt. Tatsächlich hat sie den Großen Bären getroffen und der will einen Kontakt zu dem Jäger herstellen. Welch fantastischer Gedanke, mit einem Jäger aus der Jungsteinzeit in Kontakt zu treten. Er will ihr ein Zeichen geben. Wie kann das aussehen? Und wie viele Monde soll sie warten?
Elisa nimmt den Notizblock, den sie neben sich gelegt hat und schreibt ihre Erinnerungen auf. Sie bleibt noch eine halbe Stunde liegen um über alles nachzudenken. Dann steht sie auf, macht das Licht an und sucht Giovanni. Sie findet ihn in seinem Büro. Dort erzählt sie ihre Erlebnisse. Giovanni ist hoch erfreut.
Elisa schaut Giovanni nachdenklich an. "Kannst Du mehr über diese Tätowierungen recherchieren? Wo wurden solche bisher gesehen und welche weiteren Informationen gibt es noch dazu? Für mich ist das alles ein Rätsel. Soweit ich weiß sind bisher solche Tätowierungen an Mumien in Peru, aber auch in China und Sibirien gefunden worden, die aber nicht älter als 3000 Jahre waren. Diese Mumie ist aber mehr als 5000 Jahre alt. Müssen wir unsere Erkenntnisse über die Kunst der Akupunktur um weitere 2000 Jahre zurückverlegen? Wie konnten sich damals Erkenntnisse aus den fernen Ländern mit den Erkenntnissen aus den Alpen austauschen? Oder gab es gar keinen Austausch, so dass diese Kenntnisse ohne Kontakt miteinander parallel gefunden wurden?"
Giovanni nickt. Langsam und nachdenklich beginnt er mit einer Antwort: "Viele Fragen, denen wir nachgehen müssen. Ja, das ist alles sehr seltsam. Ich werde durch eine Mitarbeiterin aus meinem Lehrstuhl tiefere Recherchen hierzu machen."
"Ich komme in zwei Monaten wieder. Vielleicht hast Du dann schon weitere Informationen für mich. Ich werde dann nochmals in Trance gehen und den Großen Bären rufen. Dann sind ja schon zwei Monde vergangen." Elisa drückt Giovanni ein Küsschen auf die Wange und ist weg.
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Giovanni hat mittlerweile die Tätowierungen auf der Leiche näher untersucht und die Struktur analysiert. Zum Teil handelt es sich um kunstvolle Schmucktätowierungen am Oberkörper. Mehrere Gruppen liegen aber in unmittelbarer Nähe oder direkt auf den Stellen klassischer Akupunkturpunkte und stellen nicht Schmucktätowierungen dar. Sie wurden offensichtlich zu therapeutischen Zwecken angebracht. Insgesamt handelt es sich um 15 Tätowierungsgruppen, nämlich um zwei Kreuze und um 13 Gruppen mit je 1 bis 7 parallelen Strichen.
Die Mitarbeiterin von Giovanni hat die Beschreibungen zu solchen Tätowierungen auf anderen Mumienfunden zusammengestellt und es zeigte sich, dass sich die Mumienfunde mit solchen Tätowierungen auf Eurasien konzentrieren. Aber vergleichbare Tätowierungen trugen auch Mumien, die in Peru gefunden wurden. Therapeutische Tätowierungen konnten insbesondere aus Tibet und Indien nachgewiesen werden. Der älteste Mumienfund hierzu stammt aus China aus dem 1. Jahrtausend vor Christus.
Giovanni ruft Elisa an und teilt ihr kurz das Ergebnis mit. "Wann kommst Du, damit wir uns näher unterhalten können?" fragt Giovanni zurück.
"Ich kann nächste Woche am Freitag kommen? Wieder 12 Uhr bei Dir im Labor?" fragt Elisa. "Ja!" antwortet Giovanni.
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Elisa wacht mitten in der Nacht auf. Sie träumte davon, dass der Große Bär sie gerufen hat. War das ein Traum oder war das Realität? Sie will erst das weitere Gespräch mit Giovanni abwarten und dann nochmals in Trance gehen, um den selben Weg zum großen Bär zu gehen, wie beim letzten Mal. Sie schläft nochmals ein. Am Morgen ruft sie dann Giovanni an und macht einen neuen Termin mit ihm aus.
"Buon Giorno, Giovanni!" ruft sie wieder wie beim letzten Mal durch die Türe. Giovanni dreht sich um: "Schön, dass Du da bist, Elisa! Lass uns gleich beginnen!"
Giovanni schenkt einen frischen Kaffee ein und berichtet Elisa über die Ergebnisse der Recherchen. Elisa ist erstaunt über die hohe Kunst von Tätowierungen, die es schon in der Jungsteinzeit gab. Elisa teilte Giovanni mit: "Ich habe mir die Frage gestellt, ob die Mumie ein Scharmane war und habe recherchiert, welche archäologischen Funde es hierzu gibt. Wir wissen ja aus den Funden in der erst 1994 entdeckten Chauvet-Höhle in Südfrankreich, dass der Schamanismus schon im Aurignacien, also in der ältesten archäologischen Kultur des europäischen Jungpaläolithikums, also vor mindestens 30.000 Jahre existierte. Das bedeutet, dass der Schamanismus vor gerade mal 5000 Jahren um so ausgeprägter gewesen sein musste. Gibt es hier schon weitere Erkenntnisse?" will Elisa wissen."Ich bin auch der Frage nachgegangen, warum Ötzi auf dem Tisenjoch gefunden wurde." setzt Elisa bei ihrer Frage nach einer kleinen Pause nach. "War das Zufall oder hängt das damit zusammen, dass das Tisenjoch göttlich war? setzt Elisa ihre Fragen fort. Giovanni unterbricht sie nicht und erwartet eine Fortsetzung der Fragen.
Woher kommt der Name Tisenjoch? Hängt das damit zusammen, dass prä-indoeuropäisch die 'Diesen' Schicksalsgöttinnen waren? Giovanni, ich würde Dich bitten, zu überlegen und zu recherchieren, ob es sein könnte, dass der Ötzi dort oben gar nicht gestorben ist, sondern dass man ihn dorthin gebracht und rituell bestattet hat. Solche rituellen Bergbestattungen kennt man nicht nur aus Südamerika, sondern auch aus dem Altai-Gebirge, also aus dem Grenzgebiet von Russland und China."
Giovanni und Elisa unterhalten sich noch lange. Sie wissen, dass noch viel Arbeit vor ihnen liegt und dass noch viele Spekulationen im Raum stehen, denen man nachgehen muss um mehr Klarheit darüber zu erhalten, was damals tatsächlich vorgefallen war. Elisa erzählte von ihrem Traum und sagte, sie wolle jetzt versuchen, wieder den Großen Bären zu treffen. Sie wolle dies wieder in Anwesenheit der Gletschermumie machen und das wiederholen, wie sie es beim letzen Male gemacht hat. Giovanni ist einverstanden und er begleitet sie ins Labor. Zusammen bringen sie wieder die Tätowierungen bei Elisa an.
Elisa ist wieder im Labor allein und sie stellt ihre Musik ein, legt das Kupferbeil als Kraftpunkt neben sich. Mit leisen Rhythmen setzt sie sich langsam in Trance. Es erscheint der Urwald, sie geht zu dem alten Baum und kriecht hinein in die Erdhöhle. Jetzt kennt sie den Weg schon besser und bald erscheinen in der absoluten Dunkelheit die ersten Lichtstrahlen des Ausgangs. Dem Fluss folgt sie hinab zum Tal und zu dem kleinen See, wo sie zuletzt den Großen Bären getroffen hat.
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Elisa wusste nicht, dass sie im Labor beobachtet wurde, als sie sich schminkte und in Trance versetzte.
Warum bringt diese Frau meine Tätowierungen auf ihrem Körper an, bemalt ihr Gesicht, wie auch ich das immer so getan habe? Sie erscheint mir wie eine aus meiner Sippe, ja wie eine Schwester, vielleicht sogar wie ich selbst. Wieder höre ich die vertraute Musik dazu, sie verwendet meine Schlagstöcke. Woher hat sie diese? Auch mein Beil ist bei ihr. Warum? Ich werde ruhig. In mir erhebt sich ein Gefühl der Freude als hätte ich etwas gefunden, was ich vor langer Zeit verloren habe.
Ich würde ihr gerne etwas sagen, aber wie? Ich denke an die vielen Sitzungen am Lagerfeuer unten an der Flussmündung, bei denen ich für viele den Großen Bären und die Ahnen gerufen habe. Der Große Bär muss mir das alles erklären. Er muss mir sagen, wer diese Frau ist. Vielleicht kann er einen Kontakt zu ihr herstellen. Noch immer verstehe ich nicht, wie er sagte, ich sei von den Göttern auserwählt, meine Geschichte zu erzählen.
Ich rufe nach dem Großen Bären - immer wieder und immer wieder. Die vertraute Musik, die Frau neben mir und ihr Trommeln mit meinen Schlagstöcken machen mir es leichter, den großen Bären zu rufen. Plötzlich Stille, die Musik und das Trommeln hören auf - dichter Nebel umgibt mich. Der Nebel ist sehr bewegt. Plötzlich öffnet sich im Nebel ein Spalt - der Große Bär tritt heraus! - der Große Bär tritt heraus, steht unmittelbar vor mir und schaut mich an! "Die Zeit, reif ist sie! Mitkommen, Du sollst!" sagt er und macht eine Fingerbewegung, dass ich ihm folgen soll. Er dreht sich um, geht zurück in den Nebel - ich folge ihm. Der Nebel lichtet sich und ich stehe in einem Urwald. Hohe Bäume rings herum, der Himmel verdeckt. Lange Lianen hängen herunter. Aus den Baumgipfeln sind unzählige Vogelstimmen und aus der Ferne ist furchterregendes und tiefes Gebrüll großer Tiere zu hören, die ihr Territorium dadurch abstecken. Wir kommen an den Rand des Urwaldes. Ein kleiner See hat hier eine Insel im Urwald geschaffen. Büsche und hohes Schilf wachsen hier. Plötzlich höre ich eine Stimme, die mir vertraut ist. "Großer Bär, bist Du es? Wenn Du es bist, zeige Dich!" ruft hier jemand. Ich sehe in die Richtung, von der aus die Rufe kommen und sehe die Frau mit ihrer Bemalung, die ich zuvor in diesem eigenartigen Raum gesehen habe. Ich gehe eng hinter dem Großen Bären. Wer ist diese Frau und warum treffe ich sie hier?
Der Busch geht auf - der Große Bär tritt heraus, ich knapp hinter ihm.
"EUCH ich gerufen habe." Er deutet auf die Frau und auf mich. "IHR, vor langer Zeit EUCH getrennt habt, als ein Pfeil Dich traf." Er deutet auf mich.
Der Große Bär kommt einen Schritt näher auf mich zu. Mit seiner stattlichen Größe steht er vor mir, ich komme mir klein und unbedeutend vor. Langsam hebt er seine Pranke und ergreift mit seinen vorderen Klauen meine Hand. Große Kraft durchströmt mich. Mit der anderen Pranke nimmt er die Hand der Frau.
Über den Großen Bären bin ich mit ihr verbunden. Ich fühle wie ihre Kraft, ihre Gefühle und Wahrnehmungen über den Großen Bären auf mich herüberfließen. Das Gefühl ist unbeschreiblich - wie eine Geburt, wie ein Neuanfang. Ein schier unendliches Gefühl der Freude überschüttet mich.
Plötzlich, als der Schwall der Freude etwas nachlässt, stehe ich hier alleine. Der Große Bär ist verschwunden, die Frau auch. Ich suche nach ihnen, nichts, ich bin alleine. Ich mache mich auf den Weg, gehe den Berg hinauf, finde einen Eingang zu einer Höhle, der ich nach oben folge. Der Ausgang aus dieser Höhle geht durch einen von Wind und Wetter zerschundenen Stamm eines alten Baumes.
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