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Bei unseren Wanderungen in Polen im Riesengebirge haben wir uns vorgenommen, noch mehr östlicher zu wandern, insbesondere
in den Karpaten. Da haben wir viele Länder zur Auswahl, weil sich die Karpaten mit einer Länge von 1300 km durch sieben Länder ziehen.
Wir dachten dabei an die Ukraine. Da wollen wir hin, entschieden wir uns in 2014. Aber die Ukraine befand sich
politisch in einer schwierigen Ausgangssituation und wir wussten noch zu wenig vom Land, von den Menschen und der Kultur.
Hier gleich eine Wanderung durch das Land zu machen war uns dann doch zu kühn. So kamen wir auf die Idee, erst mal ohne
Tourenplanung in die Ukraine zu reisen, um ein erstes Gefühl von Land und Leute zu erhalten. Wir waren uns schnell einig,
jetzt ging es um die Entscheidung wohin. Die Insel Krim schied aus, weil diese bereits von Russland annektiert war.
Der Osten der Ukraine schied aus, weil dort Krieg herrschte. Also konnte es nur der Westen sein. Dann war das Ziel schnell gefunden.
Lemberg sollte es sein, das war das beste Ziel. Lemberg, auf ukrainisch Lwiw genannt, liegt in der Westukraine und ist gerade
mal 80 km von der polnischen Grenze entfernt. Dort war es politisch und militärisch ruhig. Wir waren uns sicher, dass das bis
zu unserer Reise auch so bleibt. Und Lemberg liegt im ehemaligen Galizien und war
ein wesentliches Zentrum der Habsburger. Deshalb wurde es auch als Klein-Wien bezeichnet. So klein ist Lemberg allerdings heute
nicht mehr, es hat eine Einwohnerzahl von einer dreiviertel Million. Aber Wien ist heute mit seinen 1,8 Mio Einwohner mehr
als doppelt so groß wie Lemberg, also stimmen die Größenverhältnisse von groß und klein auch heute noch.
Das passte also gut, da uns die Habsburger schon auf vielen Reisen in Österreich, Kroatien oder Südtirol begegnet sind.
Zudem gehört die Altstadt von Lemberg zum UNESCO-Weltkulturerbe, so dass uns eine Stadtbesichtigung viel zu bieten hat. Und
schließlich rundete das sehr günstige Kursverhältnis des Euros gegenüber der Griwna, der ukrainischen Währung seit 1996,
unsere Entscheidung ab. Es zeigte sich dann in der Tat, dass das Leben in Lemberg sehr günstig war.
Jetzt blieb nur noch die Entscheidung des wann, also des richtigen Zeitpunktes für die Reise. Da wir am 21.12 auf einem
jüdischen Hanukafest waren und am 24.12. Weihnachten feierten, wollten wir diese Festtage ein drittes Mal feiern, nämlich am
06.01. im christlich-orthodoxen
Lemberg. Zu diesem Zeitpunkt begann nämlich dort das Weihnachtsfest, weil nach der christlich-orthodoxen Religion die Geburt
Christus am 06. Januar war. Der Unterschied zu hier, wo das Weihnachtsfest durch die Katholiken und Evangelisten am
24.12. gefeiert wird, ergibt sich aus der Anwendung der unterschiedlichen Kalender.
Die russisch-orthodoxe und die serbisch-orthodoxe Kirche rechnet weiterhin nach dem älteren julianischen Kalender. Die
anderen Christen rechnen nach dem neueren gregorianischen Kalender, der in Europa seit dem Jahre 1582 angewendet wird.
Wir reisten also am 06.01. nach Lemberg. Als wir dann an diesem Tag ankamen und unser Quartier direkt am Rande der Altstadt
bezogen haben wir als erstes den ausladenden Weihnachtsmarkt und die vielen Menschen gesehen. Vom Pomp und Getöse unterschied
er sich nicht von den unseren.
In der Altstadt von Lemberg stehen auf kleinstem Raum die prächtigsten Kirchen. Und die Ukrainer sind sehr religiös. Die
deutschen Gotteshäuser würden überglücklich sein, wenn hier die religöse Begeisterung nur annähernd so stark wäre wie in der
Ukraine. Der große Andrang in den Tagen ab dem 6. Januar erklärt sich auch damit, dass viele Ukrainer von fern angereist waren,
um hier das Weihnachtsfest zu feiern, weil Lemberg durch die vielen und prunkvollen Kirchen die besten Voraussetzungen hierfür bot. Und
die Weihnachtsmärkte in der gesamten Altstadt sind so dicht gedrängt, dass es letztlich nur ein einziger Weihnachtsmarkt war, der
die gesamte Altstadt damit überzog. Wir hatten deshalb schon im Vorfeld mit dem Andrang zu kämpfen, weil sämtliche Hotels und
Unterkünfte an ihrer Kapazitätsgrenze waren.
Eine Besonderheit gegenüber Deutschland ist auch, wie die Ukrainer die Heiligen drei Könige feiern. Diese treten zahlreich und
mit unterschiedlichem Erscheinungsbild auf - in den Gastwirtschaften, auf den Märkten
und auch in den Straßenbahnen und meist sind auch keine Könige zu sehen, sondern Arbeiter, Dienstmädchen und Freiheitskämpfer.
Und alle haben eines gemeinsam, dass sie nämlich nicht nur eine religiöse, sondern auch eine
politische Botschaft verkünden möchten. Wir haben zwar nichts von dem Gesprochenen verstanden, aber die Inhalte sind uns klar
geworden, dass nämlich die Ukrainer anlässlich des Weihnachtsfestes ihre Einheit, ihren ukrainischen Stolz und ihren
Kampf gegen das ungeliebte Russland proklamierten und ihre Botschaften in den Auftritt der Heiligen drei Könige verpackten.
Apropos Sprache: Eine interessante Erfahrung haben wir dazu gemacht. In der Westukraine wird fast nur ukrainisch gesprochen, das sich offensichtlich stark vom Russischen abgrenzt. In der Ostukraine dagegen, so wurde uns gesagt, wird fast nur russisch und kaum ukrainisch gesprochen. Um so mehr sehen wir seitdem das Spannungsverhältnis zwischen der Ostukraine und der Westukraine und damit das Spannungsverhältnis zwischen der Ostukraine, die zu Russland will und der Westukraine, die zur EU will, klarer.
Eine weitere Besonderheit haben wir noch erlebt. Der Majdan in Kiew, also der zentrale Platz der Hauptstadt der Ukraine
als Begriff für die Proteste, lag erst ein dreiviertel Jahr
zurück. Überall in Lemberg waren Ausstellungen zum Majdan, mit vielen Bildern und auch viele Gerätschaften, die nach der Räumung des
Majdan wegtransportiert wurden und hier besichtigt werden konnten. Ausgebrannte Autos, Plakate, Wurfgegenstände, Schutzvorrichtungen
und Fotos von brutalen Übergriffen der Polizei auf die Demonstranten. Auch hier ließ sich deutlich erkennen, dass die
Westukraine gegen Russland und für die Europäische Union eingestellt ist. Das kann man bei allen Begegnungen in der Stadt feststellen.
An den Weihnachtsmärkten werden Scherzartikel verkauft, die vor allem Putin als den zentralen Gegner erscheinen lassen, bis hin
zum Toilettenpapier mit dem Konterfei von Putin.
In den Gaststätten waren Spendenbehälter für die Verwundeteten des Majdan aufgestellt. Die Ukrainer haben, das was deutlich zu
spüren, wegen des gemeinsamen Gegners Russland ein hohes Maß von Zusammengehörigkeit und Solidarität, das wir hier in
Deutschland so nicht kennen, da uns ein solcher gemeinsam verhasster Feind fehlt.
Und schließlich konnten wir doch noch eine Bergtour machen. Wir haben den Hohen Schloßberg mit den Burgruinen des Daniel von Galizien bestiegen, der der im Zentrum von Lemberg liegt und unmittelbar an die Altstadt grenzt. Ganz so hoch wie er klingt ist er dann aber mit seinen nicht einmal 150 Höhenmetern aber nicht, aber dennoch hat man einen schönen Rundblick über ganz Lemberg.
Ukraine: Lemberg
Städtetour Lemberg (Klein-Wien) auf Weihnachten (ab 06.01.)