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Meine ersten Jahre verbrachte ich mit meinen Eltern und meiner sechs Jahre älteren Schwester in einer Wohnung in Pasing, in die wir von den Behörden eingewiesen waren, weil meine Eltern in 2. Weltkrieg ausgebombt wurden. Wir lebten dort, wie meine Mutter erzählte, auf engsten Raum mit den dortigen Bewohnern zusammen, die nicht glücklich über die Zwangseinweisung waren, aber nichts dagegen machen konnten. Überall in München schossen die Häuser wie die Pilze zur warmnassen Sommerzeit aus dem Boden. So erhielten wir, als ich fünf Jahre alt war, eine kleine und schlichte Wohnung in einer Neubausiedlung in Kleinhadern, einem auf landwirtschaftlichen Boden neu errichteten Stadtteil am Rande von München. Wir lebten dort zu viert in drei Zimmern auf 50 qm. Es war eng aber wir waren sehr glücklich.
Meine Eltern hatten nun alles was sie sich wünschten, eine kleine Familie, eine eigene Wohnung und mein Vater, der während der Weltwirtschaftskrise lange Zeit arbeitslos und dann für die Post als Briefträger arbeitete, wurde jetzt auf Lebenszeit Postbeamter in leitender Stellung. Er war sehr engagiert und ob der damals herrschenden sechs-Tage Woche und einem Arbeitstag von 10 Stunden nahm ich zu dieser Zeit eigentlich nur meine Mutter wahr, die sich als Hausfrau um Haushalt und Kinder kümmerte. Aber mein Vater war im Hintergrund als der Ernährer der Familie immer präsent und verschaffte uns allen Sicherheit.
Mein Vater wuchs in Pasing auf, das damals ein kleiner Ort nähe München war und eher von Wildnis als von städtebaulichem Charakter geprägt war. So wohnten seine Eltern auf einem Grundstück, das so groß und unwegsam war, dass es nicht eingezäunt war und stets von Schäferhunden bewacht wurde. Und meine Mutter wuchs in der Steiermark auf einem Bergbauernhof auf. Wie fühlte es sich an, wenn man dann in einer kleinen Wohnung in einer Wohnsiedlung wohnt? Erst heute kann ich diese Frage stellen und erst heute wird mir die Bedeutung dieser Frage bewusst. Aber damals standen andere Bedürfnisse im Vordergrund, nämlich das Bedürfnis nach Sicherheit und Versorgung der Familie.
Während der Nachkriegszeit war, wie mir meine Mutter immer wieder erzählte, die Beschaffung der Grundnahrungsmittel ein großes Problem. Nicht immer hatten meine Eltern und meine damals noch kleine Schwester genügend zu essen und mussten hungern und hoffen, dass es am nächsten Tag wieder genug zu essen gab. Um die Familie besser und sicherer ernähren zu können, mietete mein Vater wenige Kilometer von unserer Wohnung entfernt auf einem Bauernhof mehrere Beete, zu denen er oft mit dem Fahrrad mit uns fuhr. Ich saß vorne im Korb und später, also ich größer war, hinten. Für ein Kinderfahrrad war nicht genügend Geld da. Wir hatten jetzt immer frisches Gemüse, aber auch Blumen für die Wohnung.
Bald wurde dieses Grundstück mit einer Wohnsiedlung bebaut. Der Bedarf an neuen Wohnungen war noch immer sehr groß, obwohl der Krieg jetzt schon einige Jahre zurücklag. Noch immer hatten nicht alle eine Wohnung und durch den wirtschaftlichen Fortschritt wuchs das Bedürfnis nach größeren Wohnungen.
Mein Vater erhielt jetzt über die Post einen kleinen Schrebergarten neben dem Bahngelände in Pasing. Die Bahn stellte diese Flächen den Beamten von Bahn und Post zur Verfügung. Dieser kleine Garten war nur eingezäunt und wir fühlten uns dort sehr wohl. Erinnern kann ich mich hier vorrangig an die kleine Sandkiste, in der ich immer saß und modellierte. Meist backte ich Kuchen oder einen Braten aus Sand. Der Wunsch nach genügend Essen kam bis zu mir in die Sandkiste.
Bald sollte diese Freude wieder ein Ende nehmen, da München größer wurde und die Bahn deshalb ihre Trasse vergrößerte und das Gelände, auf dem unser Schrebergarten stand, benötigte. Die Bahn hatte Ersatz für uns. Weiter außerhalb von Pasing erhielten wir einen anderen Schrebergarten. Durch die Änderungen und Vergrößerung der Bahntrasse wurden dort Nebengleise aufgelassen und es entstand eine neue Schrebergartenanlage, die größer war als alles bisherige. Jetzt hatten wir einen Garten von 300 qm! Ich fühlte mich wie im weiten Land!
Mein Vater baute dort eine kleine Holzhütte mit zwei Räumen und einer überdachten Terrasse. Ich war etwa acht Jahre alt und half gerne mit. Ob ich viel leisten konnte ist fraglich, aber mir hat das gemeinsame Projekt mit meinem Vater sehr gut getan. Ich habe seine Nägel gerade geklopft, die er verbogen hatte und ich hatte mich am Dach auch damit versucht, Nägel einzuschlagen, sicherlich eher mit mäßigem Erfolg. Als Abenteuer empfand ich, als wir die Bretter vom Sägewerk geholt haben, die mein Vater hoch auf sein Fahrrad aufschlichtete, das wir etwa zwei Kilometer dann geschoben haben. Meine Aufgabe war, die Ladung von hinten zu stabilisieren, damit die Bretter immer gerade aus nach vorne zeigten. Für die vertikale Stabilität des Aufbaus war mein Vater zuständig, denn das brauchte Geschick und Kraft. Das waren immer ziemliche Balanceakte aber wir waren erfolgreich, denn nie fiel das Fahrrad mit seiner Ladung um.
So wuchs eine kleine Stätte der Ruhe und Besinnung. Fast fünfzig Jahre hatten wir diesen Schrebergarten und ich verbrachte dort meine Kindheit, meine Jugend, schrieb Hausaufgaben, studierte dort. Ich verbrachte dort viele Jahre mit meiner Familie, meinen Kindern und mit der Familie meiner Schwester. An vielen Wochenenden trafen wir uns dort. Wir unterhielten uns, spielten Federball oder gingen spazieren. Ich wohnte mit meiner Familie in der Nähe, nur 20 Gehminuten entfernt. Mit meinen Kindern ging ich dann oft auch werktags dorthin. Ich war noch Student und nahm meine Bücher mit, legte mich auf eine Decke unter den Apfelbaum und studierte. Meine Mutter passte auf die Kinder auf und meine Frau kam nach der Arbeit gleich hierher. Meine Mutter hatte schon gekocht und wir aßen zusammen.
Und wir hatten immer die schönsten Blumen viel Obst, Gemüse und Beeren zuhause. Der Schrebergarten war eines der wichtigsten Kraftzentren für mich und für meine Familie.
Im Alter von 88 Jahren hatte meine Vater dann den Schrebergarten aufgegeben, weil es ihm zu mühsam wurde. Wer war trauriger und wehmütiger? Mein Vater, der ob seines Alters gerne losgelassen hat oder ich, der nahzu ein halbes Jahrhundert dort glückliche und kraftvolle Jahre verbrachte?
Jedesmal, wenn ich mit dem Zug von Pasing nach Augsburg an dieser Schrebergartenanlage vorbeifahre, schaue ich hinüber und meine Freude und meine Erinnerungen sind sogleich wieder präsent.