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Ich habe viele Berggebiete in Europa bereist, aber die Monti Sibillini haben einen völlig neuen und gleichsam tiefen Eindruck auf mich hinterlassen. Wir sind Mitte Mai hierher gereist, wo es noch regenreich ist und das Wasser der Natur den richtigen Treibstoff für ihr Wachstum liefert. Die Berge sind mit grünem Samt überzogen. Nichts wird ausgelassen, die einzigen Unterschiede erkennt man in der Fülle der Grüntöne. Da kommt mir in Erinnerung, dass mir vor längerer Zeit jemand erzählt hat, dass es viele hunderte Grüntöne gebe. Ich war damals ungläubig erstaunt. Jetzt habe ich es selbst erlebt, wie zahlreich die grünen Farben sein können, etwa vom Schilfgrün über das Froschgrün hin zum Grasgrün. All diese Grüntöne und hunderte mehr finden sich hier in den Monti Sibillini.
Rasenmäher werden hier nicht gebraucht. Das Grün wächst nicht höher als ein paar Zentimeter. Kein hohes Gras, wie wir es aus den oberbayrischen oder tiroler Berghängen kennen, bei denen mehrmals im Jahr der Bauer mit der Sense kommen muss. Aber auch kein Moos oder sonstige Gewächse, die das Grün stören. Wie ein von der Natur angelegter Golfplatz, aber in unvorstellbar großen Ausmaßen.
In diesem Grün fühlen sich die Bergblumen offensichtlich sehr wohl. Sie wachsen in einer großen Fülle, mit gelben, weißen, blauen, roten oder violetten Farben, ohne Angst haben zu müssen, dass ihnen das Licht von anderen Pflanzen weggenommen wird.
Ganz besonders wird die Grazie des Farbenspiels verstärkt durch die weichen Rundungen der Berge und Hügel, die etwas weibliches vermitteln. Nur gelegentlich ragen aus dieser Formation eher männlich geprägte harte Felslandschaften mit kargen und eintönigen Farben der verkarsteten Abhänge und Felsaufbauten.
Die Bergformationen und der Bewuchs lässt die Umgebung wie fremde Landschaften erscheinen, kein Baum, kein Strauch, kein Haus und keine sonstige künstliche Erhebung, die das Formenspiel der Natur unterbrechen würde. Das Gebiet ist dünn besiedelt, nur selten ein Eingriff durch Menschenhand. Kein Stadel, keine Schutzhütte, nichts - Komponist der Gestaltung ist allein die Natur.
Zurückhaltend ist die Fauna. Vereinzelt hört man Lerchen singen oder einen Kuckuck schreien. Gelegentlich können wir auch Greifvögel beobachten, die im Himmel stehen, um etwa Mäuse ausfindig zu machen. Zahlreich sind die hinterlassenen Spuren der Wildschweine, wenn sie die Wiesen umgraben, um nach Wurzeln zu suchen. Die Schweine selbst sind kaum sichtbar. Das ist auch klug, denn der Mensch ist der größte Feind der Wildschweine und drauf und dran, mit seiner Knarre solche zu erlegen. Ein trauriges Beispiel zeigen die Straßen in Norcia mit ihren zahlreichen toten Köpfen von Wildschweinen, die auf Holzbretter genagelt in die Straße hineinschauen. Wie armseelig und verroht wirken hier die Menschen, die gedankenlos die Trophäen dieser Wildtiere öffentlich zur Schau stellen.
Es bewegt tief, frei laufenden Pferden zuzusehen. Kein Zaun, keine Mauer, nichts, was sie hindern würde, weit weg zu laufen. Die Herde wird nur durch den Wunsch nach Geselligkeit mit anderen Artgenossen zusammengehalten. Dazwischen gesellen sich die jungen Fohlen, die wie kleine Kinder überschäumend mit ihrer Energie umgehen, indem sich springen, sich wälzen, hinlegen, um sofort wieder aufzuspringen, um anderen Fohlen nachzulaufen um mit diesen zu spielen.
Besonders schön ist die schlichte Ausstattung der Infrastruktur der Gegend. Nichts Aufdringliches. Keine Kioske, die wie in anderen touristischen Gebieten den Tourist mit unsinnigem Schabernack und Schnickschnack abzocken wollen. Hier sind die Natur und der Mensch noch eins.
Ich frage mich, wie stark sind die Kräfte, die diese Harmonie stören wollen. Es gibt hier ein eigenes Skigebiet, das nicht in diese Gestaltung der Natur hineinpasst. Und Schnee gibt es auch nicht jedes Jahr. Wer hatte also solche abstrusen Ideen und was waren die Beweggründe? Den Machern dieser Bauten fehlte es jedenfalls am sensiblen Einfühlungsvermögen in die Besonderheiten dieser Schönheiten in diesem Gebiet. Ein Abriss aller vorhandenden Skianlagen wäre die vernünftigste aller Optionen.
Diese Harmonie der Natur mit sich selbst strahlt auf die hier verweilenden Menschen aus, egal ob sie hier zuhause sind oder sich nur im Urlaub befinden. Sie sind freundlich und zeugen von einer tiefen Zufriedenheit, die sie bei jeder Gelegenheit zeigen.
Aber da gibt es noch eine andere Welt in dem Naturpark, die Welt oben, beispielsweise den Monte Vettore, der mit einer Höhe von 2.476 m der höchste Berg der Monti Sibillini ist. Die felsigen Höhen, das rauhe Klima, der langanhaltende Schnee und die weitgezogenen Lawinenhänge - all das kennen wir aus vielen Berggebieten in Süddeutschland und in Tirol.
Jeder Naturliebhaber kommt also hier auf seine Kosten. Ein Urlaub in den Monti Sibillini ist
daher von Herzen zu empfehlen.
.... Überblick über die Monti Sibillini