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Der antike Mann, "der mit dem Wolf tanzte", hat das vor den Toren vor Gubbio getan und war der Legende nach Franz von Assisi (1182-1226). Ihn hatten die Dorfbewohner zu Hilfe gerufen, wie sie sich nicht mehr aus den Häusern trauten weil ein Wolf Angst und Schrecken verbreitete. Er ging ihm furchtlos entgegen, sprach ihn mit "Bruder Wolf" an und lehrte ihn, aber auch die Menschen miteinander auszukommen. Die Menschen fütterten von nun an den Wolf und der dankte es ihnen mit gezähmter friedlicher Gesinnung.
Gubbio ist eine alte umbrische Stadt am Hang im Schutze des Monte Ingino gelegen. Kluge Stadtväter haben von Franz von Assisi gelernt und zähmen die neuzeitlichen Wölfe, wie die Supermercatos, die gläsernen Bankfilialen und Tankstellen und haben sie vor die alten Stadtmauern verbannt. Auch wir haben unser Auto auf dem großen kostenfreien Parkplatz vor der Altstadt abgestellt.
Das Mittelalter empfängt uns. Die Häuser und Piazzas prächtig geschmückt mit den Fahnen der Tre Ceri. Heute ist der 14. Mai und Gubbio ist in Festtagsstimmung. Alles wird vorbereitet für den morgigen Tag, dem spektakulärsten Wettrennen Umbriens zu Ehren des heiligen Ubaldo. Auch er ist ein verdienter Schutzpatron der Stadt, am 15. Mai 1160 war sein Todestag. Das Rennen war ursprünglich eine Prozession. Ihr Ziel ist die 300 m höher gelegene Basilika Sant Ubaldo, die weithin sichtbar über der Stadt thront. Drei gegeneinander antretende Gruppen und deren kräftigsten jungen Männer hieven eine drei Meter hohe herzenförmige Holzkonstruktion "Ceri" auf ihre Schultern. Auf der Spitze steht der Schutzpatron der jeweiligen Gruppe. Als ein solcher Männerhaufen rennen sie durch die Gassen und Piazzas der Stadt, um dann in sage und schreibe achteinhalb Minuten den zypressengesäumten Weg hinauf zum heiligen Ubaldo zu laufen. Wir sind in 35 Minuten gemütlich hinaufgegangen und haben die wunderbare Höhe mit einer Wanderung mit Blick in den Naturpark Monte Cucco genossen.
Heute am Tag vor dem Fest ist alles ruhig und wir gehen über die alten Kopfsteinpflaster die engen Gassen hinauf zum Piazza Grande. Der Platz ist wirklich riesig. Mit dem wuchtigen rechteckigen Palazzo di Consoli aus dem 14. Jahrhundert. Mit seinen Zinnen, Erkern und der eleganten Freitreppe ist er das Wahrzeichen der Stadt. Das archäologische Museum ist heute in ihm untergebracht. Darin das wertvollste Zeugnis umbrischer Kultur aus der vorchristlichen Zeit, nämlich die "eugobinischen Bronzetafeln". Sieben davon teils beidseitig beschrieben und handeln von Vorschriften, Ritualen und Gebeten. Die Sprache ist umbrisch und die Schrift zum großen Teil etruskisch, von rechts nach links. Meine Freude ist geweckt, wenn ich auf ein Lebenszeichen dieses längst vergangenen Volkes stoße. Die Etrusker haben den Umbrern das Schreiben gelehrt.
Wer wird dieses Jahr siegen? Die Stadt ist in drei Lager geteilt. Am Tag des Wettrennens füllen sie die Stadt. Trommler, Blasorchester, Fahnenträger feuern die Wettläufer an. Die starken Farben ihrer Hemden, die lässigen Scherpen und Halstücher zeigen ihre Zugehörigkeit an. Ubaldo, den kennen wir schon. Er ziert den Cero der Maurerzunft. Giorgio den der Handwerker und Kaufleute und der Abt Antonio schließlich den der Bauern. Mittags um 11 Uhr haben sich alle Gruppen auf dem Palazzo Grande versammelt. Und es ist eine ausgelassene Stimmung. Es ist keine Touristenattraktion. Jedes kleine Kind bis zum Urgroßvater sind auf den Beinen. Das lokale Fernsehen überträgt das Spektakel in ganzer Länge. Natürlich müssen die Läufer und mit ihr die gesamte Anhängerschaft vor dem kräftezehrenden Lauf gestärkt werden. Riesige Hallen öffnen sich, in denen die Frauen kochen, backen und ausschenken.
Wer gerade nicht durch Gubbio rennt als gäbe es etwas zu gewinnen, dem fallen vielleicht die eigenartigen "porte dei morti", die sogenannten Totentürchen über den Eingangstüren auf. Sie führen direkt in den ersten Stock des Hauses und sollten nur benutzt worden sein um einen Toten aus dem Haus zu tragen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass dem Eingang, der Türschwelle, dem Tor eine besondere Bedeutung zukam. Wer über die Schwelle des Hauses tritt geniesst Gastfreundschaft, die frisch Vermählte wird über die Türschwelle getragen oder ein Hufeisen schmückt den Türbalken. Alles Relikte aus alter Zeit. So mache ich mir selbst einen Reim darauf, warum in Gubbio die Toten aus einer eigens dafür vorgesehenen Tür getragen wurden. Der Tod war damals allgegenwärtig und der Tote verließ die Erde bereits durch eine höhergelegte Tür, die er noch nie zuvor benutzte.
Wir verlassen Gubbio durch eine vielgenutzte Porta in der alten Stadtmauer und setzen unseren Weg fort nach einer abgelegenen Gegend im Appennin namens "Monti Sibillini".