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Auto putzen überlasse ich gerne den Spießern, eine Freundin hat meinen Unrat mit den Worten identifiziert: "den habe ich schon vor einem Monat in deinem Auto gesehen". Es ist Ende Juni, unsere geplante Wanderung in Tirol; "auf den Spuren des Ötzi", beginnt morgen. Die Tiroler sind auch keine Spießer, dann schon eher Revoluzzer. Unwillig räume ich das Auto auf.
Im Kofferraum liegt noch eine rote Poporutsche vom Winter, ich lege sie auf den Gartenweg. Nach der Wanderwoche liegt die Rutsche immer noch am Gartenweg. Ich denke: wir hätten die Reise auch "Sommer im Schnee" nennen können. Eigentlich klar, wenn man die Fundstelle einer Feuchtmumie aus dem Eis besuchen will.Die Berghütten auf unserer Reise öffnen erst Ende Juni ihre rot weißen Türen- und Fensterläden für Wandervögel und schließen sie Ende September und spätestens Anfang Oktober wieder.
Braunschweiger Hütte 2759 m | Breslauer Hütte 2844 m |
Hochjoch Hospiz 2413 m | Similaun 3018 m |
Die ersten drei Buchstaben des Ötzi sind nach seinem Fundort benannt, dem Ötztal, das i am Ende nach dem Yeti, dem Schneemenschen, auf dessen Spuren sich seinerzeit Reinhold Messner bewegte. Im warmen Sommer 1991 hat ihn ein Nürnberger Ehepaar, Hobbybergsteiger, gefunden. Nach langem Prozessieren haben sie 175.000 € Finderlohn erhalten.
In den Ötztaler Alpen lässt sich gut etwas verstecken, sie haben über 700 benannte und gemessene Gipfel zum Besteigen, es ist die am stärksten zerklügtete Alpenkette und hat die meisten Hochflächen der gesamten Gebirgsketten im Alpenraum.Die Almen werden als Weiden für Schafe und Ziegen genutzt, aber über 2700 Meter finden auch die kein Gras mehr, da bestimmen Fels, Erdkies, Wasser, Schnee und letztlich Gletscher die Landschaft. In dieser menschenfeindlichen Landschaft bilden die Hütten eine Bastione der Gemütlichkeit.
"Im Wanderer steckt einer, der seine Entwicklung nicht beendet." Joseph Beuys hat das so gesagt. Es steht auf einer Stele vor der Hängebrücke, die über die tiefe Schlucht am Rofangletscher führt. An gleicher Stelle liegt der höchstgelegene bewirtschaftete Bauernhof der Ostalpen, "der Rofanhof". Es wird erzählt, dass sich Herzog Friedrich von Tirol 1382 - 1438, auch genannt "Friedel mit den leeren Taschen", auf dem Rofanhof versteckt hielt. Der Hof gehört zu der Gemeinde Vent, sie liegt 1900 m hoch, und wird "das Bergsteigerdorf" genannt.
Das Gasthaus über dem Rofanhof heißt Geiervally, ihre Geschichte gilt es noch zu erforschen. In dem alten Heimatfilm lebt sie auf einem abgelegenen Hof bei Sölden, eben im Ötztal. Ihr Filmschicksal ist nicht dokumentarisch, der Film spiegelt die nationalsozialistische Zeit wider. Aber die Grundlage des Films ist dennoch bitter und wahr, nämlich die aussichtslose Position der Frauen auf den Höfen und in den Alpendörfern.
Vent bildet einen Mittelpunkt auf unserer Reise.
Mit Franz Senn (1831 - 1884), auch genannt "der Gletscherpfarrer", hat dort der Bergsteigertourismus begonnen, er war Mitbegründer des österreichischen Alpenvereins.
Er selbst war gemeinsam mit seinem Freund "Cyrian Granbichler" Erstbesteiger vieler umliegender Gipfel, der Finalspitze 3.516 m, Hochvernagtspitze 3.539 m, Fluchtkogel 3.500 m, Mutmalspitze 3528 m und Weißseespitze 3.518 m. Sicher hat er auch die Wildspitze bestiegen, die mit ihren 3774 m der höchste Gipfel Tirols ist, aber nicht als erster. Übrigens der Alpenverein war absolut frauenfeindlich, Bergsteigerinnen konnten nicht Mitglieder werden. Erst dann in der nationalsozialistischen Zeit, aber da auch nur um Wählerinnenstimmen zu gewinnen.
Viele "namenlose" Bergsteiger und Bergsteigerinnen folgten ihm, wir lesen ihre Namen und die Jahreszahl ihrer Besteigungen, die sie mit einem spitzen Gegenstand in das eiserne Kreuz am Gipfel geritzt haben. Heute steht das ehemalige Gipfelkreuz der Wildspitze unten in Vent. Unser Blick wandert hinauf zur Wildspitze
.Welche Art Wanderer war der Mann aus dem Eis, wir nahmen seine Spuren auf und sind wie er, Anfang Juli auf den Similaun geklettert, mehr als 5000 Jahre später. Er hat die selben Bäume, Sträucher und Blumen gesehen, die nach dem strengen Winter alle Wärme, Sonne, Wasser zum schnellen Wachsen und zur kurzen Blühen nutzen. Später lesen wir im Ötzimuseum in Bozen, dass er auf seinem Weg Schlehen und andere Beeren gegessen hat. In höheren Lagen ab 2800 m sind es noch vereinzelt Mooskissen, mit winzigen lila Blüten, dann Flechten und in windgeschützten Felsspalten zwischen Schnee und Eis finden sich noch einzelne Blümchen. Ein besonders Standhaftes wächst an Ötzis Fundstelle auf dem Hauslabjoch in 3210 m Höhe.
Er lebte im Neolithikum, der Jungsteinzeit, sein kupfernes Beil ist Zeugnis hoher Schmiedekunst, die Beinfelle, der Grasmantel, die gefütterten Strohschuhe, das Messer mit der kunstvoll geknoteten Hülle, der Rucksack, die Pfeile, nebst Pfeilspitzen, alles orginal und gut erhalten, wie die Mumie selbst. Dass er in Bozen im Museum liegt und nicht in Innsbruck hängt an dem Fundort, der in Italien und gerade einmal 90 m von der österreichischen Grenze entfernt liegt.
Wir sind alleine, der Weg über die Schneefelder war mühsam, es ist unwirtlich und leer, nur eine Steinpyramide gekennzeichnet den Platz. Wir nehmen Steine mit, sie sind die ältesten Bewohner der Erde. Glimmerschiefer darin eingeschlossen, kleine Granatkristalle.Die Similaunhütte ist am nächsten zum Fundort, die Anziehung zum Ötzi so stark, dass nicht nur konditionsstarke Wanderer heraufkommen. Der Weg über Vent und die Martin Busch Hütte ist lang, dafür aber der Anstieg gemächlich.
Die Wirtsleute haben eine lange Tradition, sie sind Tiroler, Bergsteiger, Ötzipioniere der ersten Stunde, sie haben viel zu erzählen. Sie haben keine Zeit zum Erzählen, der touristische Andrang ist groß, zwischen Spagetti Bolognese, Tiroler Gröstl und Vinschgauer vergessen wir unsere Mission.
Für die informationshungrigen Gäste gibt es Bücher, Dokumentationen, Bergzeitschriften, sie geben Auskunft über die Gegend und vorallem über ihren berühmtesten Mann "den Ötzi". Wir stöbern und finden ein Buch mit Cartoons, es erzählt über den Andreas Hofer 1767 - 1810, auch er ein Tiroler und Revoluzzer. Es gibt viele Freiheitskämpfer in Tirol. Hofer`s Geschichte erzählt über den Kampf Tirols gegen die übermächtigen Truppen Napoleons. Wir lesen, dass Tirol 1805 einmal zu Bayern gehörte, wer es nicht glaubt kann es in den Geschichtswälzern nachlesen.Wir sind fasziniert und planen unsere nächste Wanderreise; "Auf den Spuren des Andreas Hofer durch das Passeier Tal in Südtirol".
Der Abstieg erfolgt über das Niederjoch (3019 m) steil hinunter, es begleitet uns das Gletscherwasser, erst in kleinen Rinnsalen, die fließen zusammen zu Bächen, weiter unten zeigen Geröll, Kies und große Findlinge die Urkraft des Wassers. Seit den 60er Jahren wird das Wasser im Tal im Vernagtstausee aufgefangen, schön ist er nicht, die meiste Zeit des Jahres sind die Staumauern zu sehen. In ihm liegt das alte Dorf Vernagt, bei niedrigem Wasser ragt das Kirchturmspitzerl aus dem Wasser. Ein wunderschöner hochgelegenerer Bauernhof, der Tisenhof aus dem Jahre 1306 hat es überlebt.
Wir sind im Schnalstal, mit dem Bus geht es über die engen Passstraßen, unter uns in den Schluchten fließt der Fluß mit. Wir kommen in ein großes breites Tal, es ist das Etschtal, in der italienischen Stadt Naturns bringt uns der Zug nach Meran und weiter nach Bozen. Nach dem breiten Fluß Etsch - italienisch Adige - ist Südtirol benannt "Alto Adige" Das heißt soviel wie das obere Etschtal, von der Quelle im Vinschgau, einem weiteren Tal in Südtirol, über Meran und Bozen.
Am Ende unserer Reise besuchen wir das archäologische Museum in Bozen. Es begeistert uns und Goethes Spruch: "wer weiß sieht mehr" entspricht auch dem Ziel unserer Reise. Am Ende des Rundgangs stehe ich vor den Cartoons eines Tiroler Journalisten und Zeichner, er hat den Ötzi karikatiert und immer wieder in neue, moderne und politische Zusammenhänge gerückt.
Eine Karikatur zeigt eine Art Südtiroler Ahnengalerie, erst der Ötzi ganz groß, dann neben ihm, etwas kleiner der Andreas Hofer mit Bart und die kleinste Figur in der Reihe stellt den Reinhold Messner dar, auch mit Bart. Alle drei sind aus heutiger Sicht Südtiroler, das stimmt, aber in Südtirol geboren ist nur der Reinhold Messner in Brixen. (Der Ötzi kannte noch keine Grenzen, und das Passeier Tal, gehörte zu Hofers Zeiten zu Tirol in Österreich.)Unser Reisegruppe ist auch ein Dreiergespann, Günter, der Bergführer, achtet auf die Zeit und rückt alles ins Bild, Birgit, die Gletscherstürmerin, eilt voran und macht gute Laune, ich, die Nachdenkliche drehe jeden Stein am Wegesrand um.