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Anfang des Jahres ist der Weg von Herrsching zum Flughafen meist mit Schnee bedeckt, doch dieser Winter war bisher ungewöhlich warm. Die langen Nächte waren klar geblieben. Selbst in der Weihnachtsnacht hatte der Vollmond durch die schwarzen Baumskelette gestrahlt und die Häuser hatten ihre harten Kanten gezeigt. Am Silvesterabend dämpfte dichter Nebel die aufblitzenden Raketen. Grün und gräulich beginnt das neue Jahr, im Münchner Norden stehen die blass illuminierten Tannenbäume in den Vorgärten. Eine weiße Schicht bedeckt die schattige Erde, Raureif im Erdinger Moos.
Endstation Flughafen, saubere Glanzwelt der Modernen, Kunstlicht, Winter und Sommer, gleich. Von einem überdimensionierten Plakat sieht mich ein Rehkitz mit großen Augen und gespitzten Ohren an, "Hört,Hört! Sixt hat einen neuen Geländewagen," "damit wir euch besser überfahren können;" denke ich weiter.
Abflug Neapel, Männer und Frauen in Uniformen, Sicherheitskontrolleure, ein aufsteigender Berufszweig. Günter sticht aus der grau-schwarzen Masse hervor, wie eine Leuchtkugel, grüne Hose, heller Wollpulli mit rotem Kragen. Ein Mädchen mit Schleife im Haar und rosa gepunktetem Koffer betrachtet ihn neugierig.
Bei der Landung fliegen wir über den Golf von Neapel. Neapel liegt in Kampanien, Campania heißt gutes fruchtbares Land. Davon ist nicht viel zu sehen, so dicht ist es besiedelt, sechs Millionen Menschen leben hier, nur die Hänge des Vesuvs sind unbebaut. Vor dem Flughafen warten wir auf den öffentlichen Bus. Beim Anblick der Hose des Busfahrers bereite ich mich auf süditalienischen Verhältnisse vor. Was würde er sagen: "ich werde für das Busfahren bezahlt nicht für meine Hose."
Neapel hat drei Hügel, den Posillipo, die schönsten Fotos mit Blick auf Neapel und den allmächtigen Vesuv sind von hier gemacht. Dann den Vomero, im Zentrum der Stadt und oben mit der weitsichtbaren Burg Castel Sant Elmo, und schließlich der Capo di Monte, der lag früher außerhalb der Stadtmauern und bot den verfolgten Christen in seinen unterirdischen Tuffsteinhöhlen Versteck und Versammlungsort. Der Posillipo, wie alles was nördlich von Neapel liegt kommt auf meine Liste "muss ich beim nächsten Mal besuchen", dazu gehört auch Cumae und seine Heiligtümer, die brodelnde Erde der Phlegräischen Feldern, die vorgelegenen Inseln, Ischia und Proccida.
Der Bus fährt uns durch die Vorstadtsiedlungen, der dichte Verkehr kennt seine eigenen Gesetze. Unser Ziel ist der Hafen und die Altstadt. Kirchen und Klöster sind in Neapel vorherrschend, riesige Mauern umfassen die Gärten, Kreuzgänge, Werk- und Wohnstätten der Ordensbrüder und -schwestern. Überall in den alten Metropolen Europas sind die allmächtigen Klosteranlagen im Stadtbild enthalten. Ausgerüstet mit dem Stadtplan suchen wir das Kloster "Nicolo von Torentino" die ehemalige Bruderschaft ist ein "Non Profit Hotel" auf dem Vomero.
Eine gute Wahl, in seinem wilden Park, wandeln wir unter Orangen- und Zitronenbäume, auf dem Boden liegen unzählige reife Früchte. Im Rücken des Gartens, der Berghang, weicher sandfarbener Tuffstein, seine Höhlen dienten einmal als Ställe und natürliche Lagerhallen. Aus den Zimmern der Blick in den Hafen, ich sehe das Castel Nuovo, weiter über den Golf von Neapel, die Halbinsel von Sorrent und Capri.Um Neapel zu begreifen müssen wir ganz rauf auf das Castel Sant Elmo, und ganz runter in den Untergrund, der modernen, glänzenden mit der Metro und der dunklen, alten Welt, in das Reich der Toten. Womit anfangen, der Regen macht die Entscheidung leicht.
Die Metro Station Toledo ist eine künstlerische Inspiration. Die Eingangshalle ist mit Naturstein verblendet, dazwischen eine alte aragonische Mauer, die während des Baus entdeckt wurde. Sie verstärkt den Eindruck, man befände sich hier in einer Ausgrabungsstätte. Mit der Rolltreppe sinken wir im blauen Glasmosaik unter den Meeresspiegel, aus 40 m Tiefe kann man durch einen Krater nach oben ins Tageslicht blicken.
Der Ausstieg am archäologischen Museum, es ist das meist besuchteste Museum der Stadt und ganz Unteritalien, hier sind die Fundstücke aus Pompeij und Herculaneum ausgestellt. Der Regen hat nachgelassen. Das Wetter im Januar ist abwechslungsreich, doch der Regen hält nie lang, versichern uns alle Ortskundigen. Wir gehen einen befahrenen breiten Autocorso aus dem alten Neapel hinaus, Richtung Capodimonte. Hier müssen einmal die alten Stadtmauern gewesen sein.
Oben auf dem Capodimonte eine mächtige Kirche im Stile des Peterdoms im Vatikan in Rom, aufgrund ihrer Lage ist sie überall in Neapel zu sehen. In dem alten Gemäuern eines Frauenkloster residieren heute Touristen, ein Grand Hotel, seine unterirdischen Höhlen und Gänge werden als Tiefgaragen genutzt. Wir wollen in die Unterwelt, die Parkwächter weisen uns ab, deuten ein Stück weiter zu dem offiziellen Eingang zu den "Katakombe San Gennaro."
San Gennaro, des heiligen Januarius, ein ungewöhnlicher Heiliger, ich merke mir den Namen mit dem gleichnamigen Monat. Er hielt sich hier, um 300 Jahre nach Christus versteckt vor der Verfolgung des römischen Kaisers. Hier brachten die Neopolitaner ihre Toten, deren alte Knochen sind heute in den offiziellen Friedhof umgezogen. Wir tauchen ein in eine leere Totenstadt.
Das Wiederauftauchen dauert, wir beschließen einen Rundgang an der frischen Luft. Die alten Wege rund um den den Capodimonte müssen einmal schön gewesen sein, heute sind sie von der Schnellstraße zerteilt. Wir sind nicht so leicht unterzukriegen, durch stinkende Fußgängertunnel, ungepflegte Parkanlagen und zerfressene Betontreppen finden wir den Weg zu dem wichtigsten Kunstmuseum, dem "Museo e Galleria Nazionale di Capodimento," mit seinen berühmten Gemälden. Kann ich Günter noch einen Museumsbesuch zumuten? Zum Glück schenkt uns der Park der königlichen Bourbonen Residenz ein Lichterspiel am Himmel.
Der Museumsbesuch lohnt sich, auch für ungeübte Kunstbetrachter, ein Bild von Peter Breugel bannt uns, es heißt der Blindensturz. Eine Reihe blinder, ärmlich gekleideter Männer, jeder geführt von seinem Vordermann, fallen, einer nach dem anderen in einen Sumpf. Das kann geschehen, wenn man sich blind aufeinander verlässt.
Zurück zu der Busstation, treffen wir auf einen Trauerzug, Menschen geleiten bedächtigen Schrittes den Toten aufgebahrt in einem einem schwarzen Leichenwagen auf seinen letzten Weg. Sie kommen die Straße auf den Capodiemonte herauf. Autos darunter auch unser öffentlicher Bus hängen sich unfreiwillig an die Trauergemeinde.
Wir beschließen die 3 km zu Fuß, zurück zur Metro zu gehen. Durch das enge Gassengewirr ist ein innerer Kompass notwendig, ich zweifle, Günter stellt sein Geschick unter Beweis.Nach längerem Suchen hungrig, finden wir eine Pizzeria, wir sind die einzigen Kunden und sitzen unter einer durchsichtigen festen Plastikplane auf der Gasse. Deutsche Touristen, das erkennt jeder Vorbeieilende. Die Neopolitaner gehen nicht zum Essen, mit Hinsetzen und Coperta, nur für eine Pizza? Die wird am Stand gekauft, im Stehen gegessen oder mit dem Moped wie eine Trophäe nach Hause gebracht.
Abends pendeln wir durch die Fußgängerzone, die Via Toledo. Die moderne Galeria Umberto liegt auf unsern Weg zum Hafen, ihre monumentaler Glas- und Stahlkonstruktion ermöglichte schon den reichen Herrschaften, Ende des 19. Jahrhunderts trotz Hitze an einem Sommertag zu flanieren. Ein Mann bietet uns Zettelchen und Stift an, unsere Wünsche für das noch frische Jahr 2016 an den Weihnachtsbaum zu hängen. Ich weiß nicht?
Wir gehen über den Piazza Plebiscito, ein mächtiger Platz, er ist dem Petersplatz in Rom nachempfunden. Der Palazzo Reale ist unter einer Haube, er wird renoviert. Dieser Platz wurde zu Volksfesten und militärischen Aufmärschen genutzt. So auch im Mai 1938, wo Adolf Hitler von Benito Mussolini begrüßt und von 10 000 Italienern umjubelt wurde. Hitler machte sein Heilzeichen, Mussolini hingegen salutierte, die Hand an der Schläfe. Anschließend wurde die gemeinsame Macht mit Kriegsschiffen und Paraden im Hafen demonstriert. Im armen Unteritalien "mezzogiorno" hatten die Faschisten eine große Anhängerschaft. Sie versprachen sich von den Faschisten eine größere Gerechtigkeit und wirtschaftlichen Aufschwung.
Das Teatro San Carlo, war einst, neben Mailand das berühmtesten Opernhaus Italiens. Wenn wir wieder nach Neapel kommen kaufen wir uns eine Eintrittskarte für Gioachino Antonio Rossini, der hier Uraufführungen einem begeisterten Publikum präsentierte. Ich kenne nur sein bekanntestes Werk, die komische Oper "der Barbier von Sevilla."
Gerne hätten wir auch Karten für ein "O sole mio" ein Gedenkkonzert für Enrico Caruso, heute gilt er als der großartigste Tenor aller Zeiten. Er ist als Gassenjunge in Neapel groß geworden.
Es sind, "canzone napoletana" Neapolitanische Volkslieder und wer Glück hat hört sie auf der Straße.
Je knapper die Zeit wird um so mehr müssen wir auf die Liste; "Was wir noch sehen und hören wollen", schreiben.
Im Hafen gehen wir am Castel Nuovo vorbei, eine herrschaftliche Stadtburg, standfest mit den 4 Rundtürmen. Das Portal zeigt eine reiche Verzierung, darin sind die Sagen- und Rittergeschichten verewigt.Der Hafen hat noch keine Metro, die Baustelle kommt nicht voran, zu viele Altertümer liegen unter der Erde. Klar, der Hafen, Ankunfstsort der Schiffe aus aller Welt, im Altertum siedelten die Griechen in Unteritalien, heute sind es die Fähren, sie bringen Touristen nach Ischia, Capri, Sorrent und Pozzuoli. In der Saison steuern sie auch Palermo, die äolischen und die liparischen Inseln an. Die Kreuzfahrschiffe kommen von Venedig, wenn sie in Neapel landen strömen hunderte von Touristen die Shoppingmeile hinauf.
Die ist schneller zu finden wie der Duomo von San Gennaro. Seine Knochen und eine Kapsel mit seinem getrockneten Blut sind von den Katakomben in die Altstadt umgesiedelt worden. Er ist der meist besuchte Heilige Neapels. Die Reliquien wirken Wunder und beschützen Neapel bis heute vor den Ausbrüchen des Vesuvs. Sie sind dem gläubigen Neopolitaner mehr wert wie die prunkvollen Kirchenschätze aus Silber und Gold.
Aberglauben heute? Meine Eltern glaubten nicht an Gott, dennoch hielt ich mit Gott Zwiegespräch vor dem Einschlafen, teilte ihm meine Ängste und Wünsche mit und wollte keine Anstrengung unversäumt lassen, falls es ihn doch gibt. Was kaufen die Touristen in Neapel, ein Blick in die Souvenirgeschäfte.Das cornicello, ein Hörnchen, ein Glücksbringer in Neapel, im besten Fall besteht es aus Koralle, krumm muß es sein, und rot. Es wehrt den bösen Blick ab, ist gut für die Potenz und kann langersehnte finanzielle Wunder möglich machen. Nach dem Shopping geht es für die "modernen" Kreuzfahrer weiter nach Palermo.
Kirchen gibt es unzählige, von aussen oft schlicht, verraten sie nicht ihre Reichtümer im Inneren. Die Gesu Nuovo verhält sich anders, ihre Fassade möchte ich sehen. Wir gehen entlang der Mauer des dazugehörigen Jesuitenklosters, es ist die größte Anlage innerhalb der Stadt Neapel. Die Kirche an der gleichnamigen Piazza hat eine stachelige Fassade.
Sie liegt an der Spaccanapoli, eine zentrale Altstadtgasse die 3 km lang ganz gerade verläuft, wie ein Rückrat welches die Altstadt in eine rechte und linke Seite spaltet. Um diesen Eindruck richtig zu erfassen besuchen wir das weitsichtbare Castel Sant Elmo auf dem Vomero, diesmal fahren wir mit der Funiculare, eine Bergmetro hinauf.Das Wetter stimmt und Günters Fotoakku ist randvoll. Der Eintritt ist frei, wir wandern rundherum der Festung, immer wieder studiere ich die Gebäude und Straßen, who is who and which is which.
Auf dem romantischen Weg hinunter und zurück in die Alstadt lassen wir uns verewigen. Ich finde Günter stehen die Hörner gut.
Wir kommen im Oktober 2016 wieder nach Unteritalien, in das ehemalige Königreich beider Sizilien. Wir wollen auf den liparischen Inseln wandern und den Stromboli besuchen. Leider ist dann die Saison für die Schifffahrt beendet und wir müssen über Sizilien fliegen.