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Schon als Jugendlicher liebte ich den Wassersport. Bei einem Urlaub im damaligen Jugoslawien habe ich mir dann eine Taucherbrille nebst Schnorchel und Flossen gekauft. Aber als kurzsichtiger Brillenträger war das Schnorcheln nicht so einfach. Meine Brille passte nicht in die Taucherbrille hinein, so dass ich auf diese verzichten musste. Aber ohne Brille sah ich nur das scharf, was maximal 50 cm entfernt war. Das war zwar interessant, aber der Boden, vielleicht mal drei, vier, fünf Meter tief schien umso interessanter, aber alles war verschwommen. Außerdem passte die Taucherbrille nicht ganz und es kam immer wieder Wasser hinein. Als Student litt ich unter chronischem Geldmangel und so hatte ich offensichtlich eine billige und minderwertige Taucherbrille gekauft. Am Abend beim Essen lief dann immer wieder Salzwasser aus meinen Kieferhöhlen herunter und verzalzte mir das Essen. So verlor ich schnell die Lust an den Unterwasserlandschaften und rührte meine kaum gebrauchten Schnorchelutensilien nie mehr wieder an. Irgendwann einmal, wohl bei einem meiner vielen Umzüge, hatte ich diese dann endgültig entsorgt.
Als begeisteter Wanderer und Bergsteiger kann man auch ohne Unterwasserwelten gut leben. Die Landschaften, die Tiere und Pflanzen in der Bergwelt sind so üppig und vermittelten so viel an Artenvielfalt, Farben und Schönheiten, dass mir nie etwas fehlte. Ich streifte mit meiner Filmkamera durch die Bergwelten und fing diese Naturschönheiten damit ein. Ich hatte also niemals Sehnsucht nach Unterwasserlandschaften.
Viele Jahrzehnte mussten vergehen, bis das Thema der Unterwasserlandschaften wie kleine lang eingeschlossene und nunmehr befreite Luftblasen an die Oberfläche meines Interesses hochstieg. Meine Freundin ist nämlich Taucherin und wir planten, im Februar in der Karibik einen Urlaub zu machen, damit sie dort in die Schönheit der karibischen Unterwasserwelt eintauchen könne. Sie wollte mich motivieren, dass ich zumindest zum Schnorcheln beginne. Ich lehnte ab und erzählte ihr meine Geschichte aus Jugoslawien. Ich dachte, damit sei das Thema erledigt. Aber Frauen sollte man nicht unterschätzen. Zu Weihnachten erhielt ich nämlich von ihr eine Taucherbrille mit geschliffenen Gläsern. Ich bin gar nicht auf die Idee gekommen, dass es so etwas gibt. Und die Taucherbrille war so hochwertig, dass sie gut saß und alles hermetisch abdichtete. Sie schulte mich im Hallenbad in Starnberg und ich war überrascht, wie gut das ging. Nur mein langjähriger Oberlippenbart störte noch. Ich war bereit nach Jahrzehnten nochmals das Schnorcheln zu versuchen und rasierte meinen Schnauzer, wie man in Bayern sagt, ab.
Nach wenigen Wochen war es dann soweit. Wir waren in der Karibik in Curaçao, es war wie immer 30 Grad Celsius warm und die Wassertemperatur lag bei 26 Grad Celsius. Meine Freundin und die anderen Freunde, die mitgefahren waren, tauchten und ich probierte jetzt meine neuen Utensilien aus. Das war ein Erlebnis, ich sah zum ersten Mal in meinem Leben die Unterwasserlandschaften life, also nicht nur aus Bildern in Büchern oder im Fernsehen. Da fiel mir gleich die Aussage von Alexander von Humboldt ein "Die Natur muss gefühlt werden.". Welche atemberaubende Schönheit doch solche Unterwasserlandschaften haben. Ich habe die Unterwasserwelt in vollem Maße gefühlt.
Eines fehlte mir aber sehr. In den Berglandschaften habe ich immer meine Kamera dabei und fange die schönen Szenen der Natur ein. Hier als Schnorchler konnte ich mich nur mit dem Augenblick vergnügen. Das war mir zu wenig. Unsere Freunde hatten eine Unterwasserkamera dabei. Sie merkten mein Leid und meine Sehnsucht und ein Taucher bot mir einmal an, dass ich seine Unterwasserkamera benutzen durfte. Das war ein Wort! Ich legte sofort meine Schnorchelausrüstung an und startete ausgestattet mit der Kamera einen Schnorchelausflug. Anfangs war das alles nicht so einfach. Die Kamera erinnerte mich an meine erste Digitalkameras. Das lag schon sehr viele Jahre zurück. Aber plötzlich hatte ich ein umgekehrtes Problem zu früher. Während ich nämlich in den Jahrzehnten zuvor bei meinen ersten Schnorchelversuchen in Jugoslawien nur das sehr Nahe und nicht das Ferne gesehen habe, sah ich nun mit meiner neuen Taucherbrille das Ferne, aber nicht mehr das sehr Nahe. Denn anders als meine Brille, die ich täglich benutze, hatte die Taucherbrille keine Gleitsichtgläser. Ich sah die Dinge auf der Kamera und das was das Objektiv anzeigte, nur sehr verwaschen.
Wie soll man da fotografieren, dachte ich zunächst entsetzt! Aber jetzt sollte mir meine langjährige Erfahrung des Fotografierens in den Bergen zugute kommen. Ich versuchte, intuitiv zu fotografieren.
Da hatte ich schon gleich ein erstes lohnendes Ziel. Unter mir im weißen Sand schlängelte sich eine Wasserschlange, eine gefleckte Muräne wie mir später erzählt wurde. Und das war keine Schlange, sondern ein Fisch, wie ich ebenso erfuhr. Ich fotografierte intuitiv, tauchte auf, nahm die Taucherbrille ab und sah mir die Fotos an, die ich eben geschossen hatte. Mal war die Schlange zu klein, weil ich den Zoom nicht verwendete, mal hatte ich nur den Schwanz der vermeintlichen Schlange fotografiert, weil ich den Zoom zu stark benutzte und im unruhigen Wasser schlecht zielte. Aber ein Bild schien akzeptabel zu sein. Als ich mich über dem Wasser mit dem Zoom übte und jetzt mit dem neu erlernten Wissen die Wasserschlange, die keine war, fotografieren wollte, war sie schon längst verschwunden. Jetzt wusste ich aber, wie man das besser machen kann. Ich versuchte weiter und weiter.
An einer schönen Wasserpflanze, die wie ein Elchgeweih aussah übte ich mich lange. Später wurde mir dann gesagt, dass das eine Koralle war und dass diese so heißt, wie sie aussieht nämlich Elchgeweihkoralle. Diese Koralle stand gerade mal etwa zwei bis drei Meter tief und das Licht war ideal. Ich suchte mir den besten Platz, damit ich nicht gegen die Sonnenreflektion fotografieren musste aber auch mein Schatten nicht in das Bild fiel. Irgendwann hatte war ich in der richtigen Stellung, aber bevor ich abdrücken konnte, schob mich die Strömung schon wieder weg. Ich probierte weiter und irgendwann wusste ich, wie ich den Standort behalten konnte. Dann wartete ich, dass die schönsten Fische durch das Elchgeweih schwammen, aber es gelang mir kein akzeptables Foto von Koralle und Fisch. Ich machte lieber ein paar Fotos mehr. So hatte ich das auch zu Beginn meiner Bergfotografie gemacht. Damals noch musste ich drei von vier Bildern löschen, weil sie nicht schön geworden waren.
Ich schwamm weiter und entdeckte einen seltsam aussehenden Fisch. Erst dachte ich, das sei ein Ast, der aufrecht im Wasser schwamm. Dann merkte ich aber dass dieser Ast einen Kopf und einen Schwanz hat und ganz gut auch horizontal schwimmen kann. Später wurde mir erzählt, dass das ein Trompetenfisch war, der vorgibt, eine Pflanze zu sein, um dann andere Fische, die die Gefahr nicht erkannten, leichter fressen zu können.
Irgendwann spürte ich, dass es mir trotz einer Wassertemperatur von 26 Grad Celsius und meinem dünnen Neoprenanzug doch immer kälter wurde. Ich schwamm zurück und genoss die warme Luft. Meine Freunde waren ganz aufgeregt und meinten, sie hätten sich schon Sorgen gemacht, weil ich nicht mehr gekommen war und wollten schon nachsehen, wo ich denn sei und ob ich Hilfe bräuchte. Ich war erstaunt, weil ich ja, wie ich dachte, nicht lange weg war. Dann war ich noch mehr erstaunt, als mir gesagt wurde, dass ich fast zwei Stunden weg gewesen sei. Die Abenteuer der Unterwasserlandschaft und die Abenteuer des ersten Fotografierens hatten offensichtlich mein Zeitgefühl erst mal durcheinander gelegt.